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Der Heimweg

Der Regen macht eine Pause. Der Herbst ist weiter fortgeschritten und La Fontanella und seine Bewohner bekommen immer weniger die Sonne zu Gesicht. Unaufhörlich, wie ein dreister Dieb, stiehlt die Jahreszeit uns das Tageslicht.

Die Dackeldame Bessie und ich tragen noch sichtbar die Spuren des Sommers. Bessies schwarzes Fell glänzt an manchen Stellen bräunlich, mein Haar ist fast weiß und lockt sich lang bis zum Rücken. Man sieht, dass uns die Sonne des Sommers geküsst hat.

Meine Tante Hanna hat uns beauftragt in dem kleinen Dorfladen ein paar Besorgungen zu machen. Wir sind schon wieder auf dem Rückweg, die steile, enge Straße durch den Wald hinunter. Ich führe Bessie an der Leine in der linken Hand, die rechte trägt die Einkaufstasche und den Lolli, den ich immer von der netten Ladenbesitzerin bekomme.

Plötzlich bleibt Bessie stehen. Sie stellt die Ohren, streckt ihre Nase in die Höhe und steigt, um noch besser Witterung zu bekommen mit ihren kurzen Dackelbeinen auf einen umgefallenen Baumstamm. Die Nase hoch aufgeworfen, die unsichtbaren Informationen verarbeitend. Nur kurz schaut sie sich um, blickt zu mir und beginnt wie verrückt in den Wald zu ziehen.

Ich folge ihr, erst durch einen feuchten Graben ein paar Schritte in den Wald. Die Laubbäume haben schon viel Laub abgeworfen. Wir schreiten über einen Teppich aus roten Buchenblättern und braunen Eicheln. Jeder Schritt knistert. Der Wald wird dichter und allerlei stachliges Gewächs erschwert mir den Weg.

Bessie geht immer voran, schlüpft unter den meisten Hindernissen hindurch. Für mich wird es beschwerlich, die Einkaufstasche stört. Ich lasse sie stehen. An dieser alten, knorrigen Eiche werde ich sie später wieder abholen.

 

 

Wir kämpfen uns voran und ich bin sehr gespannt was Bessie mir zeigen wird. Ich kann mich auf sie verlassen. Gemeinsam haben wir schon viele interessante Dinge gefunden und erlebt. Unermüdlich kämpft sich dieser kleine Hund mutig voran. Ich bin bereit für unser gemeinsames Abenteuer Opfer zu bringen. Sträucher zerkratzen mein Gesicht. Es tut nicht weh aber als ich mir mit der Hand über meine Stirn fahre merke ich, dass sie blutig ist. Immer tiefer gelangen wir in den Wald. Alles ist still und friedlich. Einzig dieser ehrgeizige Dackel und sein Anhängsel stören die Ruhe. Es ist schwierig die Leine in der Hand zu behalten, manchmal löst sie sich wie von selbst. Dann bleibt Bessie stehen und wartet auf mich.

Ich möchte sie nicht ableinen, ich kenne ihre Leidenschaft für Fuchsbauten und auch ihre Ausdauer. Tante Hanna wird sich sicher sorgen, wenn wir beide drei Tage verschwunden bleiben.

 

Nein, dieses Abenteuer werden wir gemeinsam erleben. Auf einer kleinen Lichtung bleibe ich stehen und richte mich auf. Alles sieht gleich aus. Ich drehe mich einmal um mich selbst und versuche wieder meinen Ausgangspunkt zu treffen.

Bessie spinnt total, sie zieht wie verrückt in ein dichtes Gebüsch. Als ich nicht sofort folge beginnt sie zu bellen. Ein tiefes, durchdringendes Bellen, dass nicht mir gilt, sondern der Dickung und ihrem Geheimnis. Mein Herz pocht, langsam gehe ich näher, bewege vorsichtig das starre, stachlige Geäst auseinander und schaue auf einen dicken braunen, stinkenden Körper. Der Gestank erinnert mich sofort an meine Cousine Marion, deren Leibspeise Nudeln mit Maggi ist. Die hätte hier jetzt ihre helle Freude. „Hallo?“ frage ich in den Busch hinein, während Bessie mit ihren Vorderpfoten auf dem Tier herumtritt. Es reagiert nicht und ich überlege was das für ein Tier sein könnte, dass viermal so groß wie Bessie ist.

 

In mir keimt ein Verdacht und um sicher zu gehen frage ich: „Bist du Tod?“ Ich bekomme keine Antwort, was ja auch als Antwort gewertet werden kann und bin froh, dass Tante Hanna diese dumme Frage nicht gehört hat. Ich überlege was zu tun ist. Das Vernünftigste wäre es sicherlich einfach nach Hause zu gehen. Andererseits interessiert es mich brennend welches Tier Bessie und ich gefunden haben. Die Neugier und die Ängstlichkeit liefern sich in mir einen ausgeglichenen Konflikt. Der, mir am vernünftigsten scheinende Plan, mich anzuschleichen wird durch diesen Dackel, der weiter sein monotones, tiefes Bellen absetzt verhindert. Stetig wird es dunkler im Wald. Ich kann den Körper im Dickicht kaum mehr von der Erde, auf der er liegt, unterscheiden.

 

Gerade beschließe ich Bessie nur noch kurz ihre Freude zu gönnen und mich dann auf den Rückweg zu machen, als mich zwei riesengroße Hände packen und nach oben heben.

Sie gehören zu einem Mann mit schwarzen Bartstoppeln in seinem gebräunten, faltigen Gesicht. Sein runzeliger Zeigefinger, mit dem dreckigsten Fingernagel den ich je gesehen habe, signalisiert mir ruhig zu sein.

Ein zweiter Mann mit einem sehr langen Messer bewegt sich vorsichtig, im Vierfüßlergang, um das Gebüsch.

 

Bessie ist außer sich. Sie knurrt und fletscht die Zähne gegen den Mann.  Ich weiß was jetzt kommt, sie wird ihn beißen!

Blitzschnell schnellt sie vor und packt die Hand mit dem Messer. Überrascht zieht der Mann seine Hand zurück, ohne das Messer fallen zu lassen. Es folgen eine Reihe wüster italienischer Flüche mit abwechselnd intensivem Bekreuzigen und wildem gestikulieren in Richtung Bessie. Der Mann auf dessen Arm ich immer noch bin, unterdrückt sein Lachen und setzt mich ab.

Er zeigt auf den Dackel, der immer noch wie eine Furie knurrt, die Lefzen zieht und keinerlei Bereitschaft zum Teilen zeigt und dann auf mich. Ich verstehe und rufe Bessie zu mir. Sie kommt, wenn auch zögerlich und voller Misstrauen. Ich greife nach der Leine, die sie immer noch an sich hat und lobe sie ausgiebig. Beide Männer stehen mit vor Unglauben offenen Mündern da. Bessie ist nun ganz ruhig und schleckt meine Hand, die sie streichelt. Mit der anderen Hand mache ich eine Geste, die den Männern erklärt, dass von Bessie nun keine Gefahr mehr droht. Ich fühle mich dabei sehr groß.

Der Mann mit dem Messer vergewissert sich noch einige Male bevor er und seine unglaublich schmutzige Lederhose im Gebüsch verschwinden. Der andere Mann, Bessie und ich warten.

 

„E morto, e morto!“ brüllt es aus dem Gebüsch und der Mann neben mir greift mich erneut und wirbelt mich durch die Luft. Ich lasse Bessies Leine los, damit sie sich nicht mit uns im Kreis dreht. Sofort rast der Dackel wieder ins Gebüsch und wird auf dem toten Wildschwein sitzend und sich in der Schwarte verbeißend hinausgezogen.

Die Männer betrachten wohlwollend das stinkende Schwein und den Schuss, den es abbekommen hat.

Einer der Männer geht zu einem Baum, bricht zwei Zweiglein mit noch grünem Laub ab. Einen steckt er in mein Haar, den anderen Bessie an die Halsung. Sie gratulieren mir und bejubeln mich wie eine Heldin!

 

Der Wald ist dunkel, als sie das tote Wildschwein aus der Dickung bergen. Sie hatten es nach dem Schuss verloren. Bessies anhaltender Laut hat sie dann doch noch ihre Jagd erfolgreich zu Ende bringen lassen. Ich kann mich nicht richtig freuen. Meine Sorge gilt der Einkaufstasche, die im dunklen Wald an einem unbekannten Ort, an einem Baum lehnt. In ihr unser Abendessen und Tante Hannas Portemonnaie. Aber die Männer wissen Rat und fahren mich an den Ausgangspunkt meines Abenteuers. Wir finden die Tasche und die Männer fahren Bessie und mich nach Hause.

 

Gemeinsam, mit Tante Hanna essen wir zu Abend und die Jäger erzählen allerhand Jägerlatein und trinken den Wein aus Boccalinos. Ich schlafe, wie so oft, mit Bessie in ihrem Körbchen ein und weiß ich werde den Klang ihres „Todverbellens“ immer und überall erkennen.

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